Dear Mr. Bundesrat

Januar 2017

 

Werter Herr Bundesrat Alain Berset

 

Kennen Sie das Lied „Dear Mr. President“ von Pink? Es ist vom Jahr 2011. Darin lädt sie den amtierenden US – Präsidenten zu einem Spaziergang ein und stellt ihm einige Fragen. Auch ich habe Fragen, Fragen einer Pflegehexe an den Vorsteher des eidgenössischen Departement des Innern, welches auch für das Gesundheitswesen zuständig ist. Ich frage Sie:

·        Ist Ihnen bewusst, wie hoch der Leidensdruck sein muss wenn eine so duldsame Berufsgruppe wie die Pflege sich zusammenschliesst und eine Initiative lanciert?

 

·        Wie kann es passieren, dass die Leistunden einer so grossen Berufsgruppe wie die Pflege in den DRGs nicht einmal ansatzweise abgebildet sind?

 

·        Können Sie sich vorstellen, wie erniedrigend es für Pflegende ist, jeden Handgriff nachweisen zu müssen? Ja, die Krankenkassen sollen wissen, wofür sie bezahlen. Es führt jedoch zu weit, wenn Pflegende dokumentieren müssen, dass sie einem Patienten die Hose herunterziehen, bevor sie eine Inkontinenzeinlage wechseln.

 

·        Können Sie sich vorstellen, dass es für Pflegende ein Ärgernis darstellt, wenn ständig von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen gesprochen wird, sie selbst jedoch nichts von diesem Geld sehen und sich an ihrer schwierigen Lage nichts ändert?

 

Werter Herr Bundesrat Berset, Pink lädt den Präsidenten zu einem Spaziergang ein. Ich lade Sie ein, eine Woche in den Schuhen einer Pflegenden zu gehen. Erst dann werden Sie auch nur ansatzweise verstehen, in welchen Spannungsfeldern sich Pflegende tagtäglich bewegen. Erst dann werden Sie erfassen, welch hohe kognitive, physische und psychische Anforderungen der Beruf stellt.

Nur so werden Sie ansatzweise verstehen, was für Menschen sich diesen Beruf aussuchen.

 Keine Studie, keine Befragung kann Ihnen mehr Anhaltspunkte dazu geben, wie Pflegende länger im Beruf gehalten werden können, als eine Woche in den Schuhen einer Pflegenden zu gehen.

 

Nun wünsche ich Ihnen Gesundheit, sie ist das höchste Gut, das keiner kaufen kann.

 

Freundliche Grüsse

 

Madame Malevizia

 

 

Ps. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass dieser Brief sowie eine allfällige Antwort auf meiner Homepage sowie meiner Facebook- Seite veröffentlicht wird.

Antwort des BAG

 Sehr geehrte Madame Malevizia

Ihren Brief vom Januar 2017 an Herrn Bundesrat Alain Berset haben wir erhalten und danken Ihnen dafür. Er hat uns gebeten, diesen in seinem Auftrag zu beantworten. Sie stellen dem Bundesrat in Ihrem Brief verschiedene Fragen, auf die wir nachfolgend gerne eingehen.

 

Sie erwähnen den Leidensdruck, dem Pflegende bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind und der nun zur Lancierung der Pflegeinitiative geführt hat. Dass Pflegende physisch und psychisch stark gefordert sind, ist auch für Menschen nachvollziehbar, die selbst keine Erfahrung als Pflegende haben. Der Pflegeberuf ist anspruchsvoll, der ökonomische Druck führt zu einer Verdichtung der Pflegeprozesses, das ist auch dem Bundesrat bewusst. Es braucht wirksame Massnahmen, damit Pflegefachkräfte lange und bei guter Gesundheit im Beruf bleiben.

Dazu hat der Bundesrat im vergangenen Dezember im Rahmen des Masterplans Bildung Pflegeberufe verschiedene Massnahmen verabschiedet, vor allem in der Langzeitpflege. Diese werden nun umgesetzt. Dazu gehören:

 

Erhöhung der Berufsverweildauer

Um das Personal im Beruf zu halten, will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Arbeitsumgebung der Langzeitpflege verbessern: Die Fachkräfte sollen Rahmenbedingungen vorfinden, durch die sie sich mit dem Pflegeberuf und mit ihrem Betrieb identifizieren und dort länger bleiben. Als erstes sollen Instrumente entwickelt werden, um Aktualisierung zentrale Faktoren der Arbeitsumgebung und deren Einfluss auf die Berufsverweildauer zu messen. Anschliessend geht es darum, diese Instrumente in verschiedenen Institutionen der Langzeitpflege auf ihre Alltagstauglichkeit zu prüfen. Zum Schluss sollen Betriebe der Langzeitpflege, die sich verbessern wollen, bei der Durchführung eines strukturierten Optimierungsprogramms finanziell unterstützt werden.

Personal durch Imagekampagne und Wiedereinstiegsprogramm gewinnen

Unter der Federführung des Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) werden das BAG und die Organisationen der Arbeitswelt ab 2018 eine Kampagne lancieren, um das Image der Ausbildungen und der Karriere in der Langzeitpflege zu verbessern.

Zudem wird das SBFI im Auftrag des Bundesrats kantonale Förderprogramme für Wiedereinsteigende in die Langzeitpflege finanziell unterstützen. Mit der Übernahme der Kosten für Wiedereinstiegskurse sollen Bund und Kantone von 2018 bis 2022 gemeinsam 2000 diplomierte Pflegefachkräfte zur Wiederaufnahme einer Pflegetätigkeit gewinnen. Wiedereinstiegskurse werden von einzelnen Kantonen bereits heute erfolgreich angeboten. Die Kosten pro Kurs belaufen sich auf CHF 2000.- bis 5000.- pro Person.

 

Der Schweizerische Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) hat nach Ablehnung der parlamentarischen Initiative Joder mit der Pflegeinitiative ein legitimes demokratisches Mittel ergriffen, um direkten Einfluss auf die Politik zu nehmen und seine Anliegen durchzubringen. Die Pflegefachkräfte sind die grösste Berufsgruppe in der Gesundheitsversorgung; sie wird angesichts der älter werdenden Bevölkerung weiter an Bedeutung gewinnen. Welche Rolle sie in der Gesundheitsversorgung spielen soll, darüber wird das Schweizer Stimmvolk entscheiden, falls die Initiative zustande kommt. Das ist zu begrüssen, denn in kaum einem andern Politikbereich sind so viele Bürgerinnen und Bürger direkt oder indirekt betroffen wie von der Verfügbarkeit der Pflege.

 

Sie erwähnen zudem, dass die Leistungen der Pflegenden nicht in den DRGs abgebildet seien. Auch diesbezüglich haben die Schweizerische Vereinigung der Pflegedienstleiterinnen und Pflegedienstleiter und der SBK als Trägerschaft von NursingDRG einiges bewegen können. So hat beispielsweise der Verwaltungsrat von SwissDRG AG per 2017 beschlossen, Zusatzentgelte für die Pflege- Komplex- Behandlung einzuführen. Die korrekte Abbildung der Leistungen ist eine gesetzliche Aufgabe von SwissDRG. Anpassungen in diesem Sinne sind zu begrüssen.

 

Die Schweiz lebt und entwickelt sich weiter durch politisches Engagement. In diesem Sinne freuen wir uns auf eine konstruktive Auseinandersetzung und auf gute Lösungen für die Pflegenden im Interesse aller.

 

Freundliche Grüsse

 

Abteilung Gesundheitsberufe

 

Der Leiter

Ryan Tandjung

 

Stellungnahme zur Antwort

Stellungnahme zur Antwort des BAG auf den Brief an Alain Berset

Werte Damen und Herren,

Ich danke Ihnen für die ausführliche Antwort auf meinen Brief. Es ist mir ein Anliegen, zu einigen Ihrer Aussagen nochmals Stellung zu beziehen.

„Sie erwähnen den Leidensdruck, dem Pflegende bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind und der nun zur Lancierung der Pflegeinitiative geführt hat. Dass Pflegende physisch und psychisch stark gefordert sind, ist auch für Menschen nachvollziehbar, die selbst keine Erfahrung als Pflegende haben.“

 

Ich bin froh zu wissen, dass Herr Bundesrat Alain Berset und das BAG offenbar die Notwenigkeit zu handeln erkannt haben. Auch wenn ich bezweifle, dass sie wirklich nachvollziehen kann, was der Pflegenotstand für Pflegende im Alltag bedeutet. Täglich sind Pflegende ethischen Dilemmas ausgesetzt. Damit sind die Pflegenden alleine. Dies ist ein Fakt, kein Vorwurf, sondern ein Aufruf, sich direkt mit der Not der Pflegenden auseinander zu setzen. Der Vorschlag, mich in meinem Alltag zu begleiten ist natürlich utopisch. Ich bin jedoch überzeugt, dass Herr Alain Berset und das BAG einen Weg finden werden, sich einen Eindruck der Realität zu verschaffen. Damit meine ich nicht Zahlen, sondern die Gesichter und Schicksale dahinter.