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Weil aufgeben keine Option ist - oder was die Politik für uns tun kann

Weil aufgeben keine Option ist – Oder was die Politik für uns tun kann

Wenn es um meinen Beruf geht, ist Aufgeben für mich noch immer keine Option. Sicher, die Situation ist schwierig, manchmal auch unmöglich. Ich gebe zu, auch ich bin oft erschöpft, desillusioniert, wütend und frustriert. Auch ich habe an manchen Tagen einfach die Schnauze voll, möchte «Pflegt euch doch selbst!», brüllen und schaukeln gehen, am besten den Rest meines Lebens (leider ist schaukeln noch schlechter bezahlt als Pflege, nämlich gar nicht).

 

Aber bis jetzt ist Aufgeben keine Option. Ich habe gewählt, weiterzumachen. Ich habe gewählt, weiter zu träumen. Träume sind wichtig. Aus Träumen entstehen Visionen und aus Visionen entstehen Lösungen. Um solche Lösungen soll es in diesem und den folgenden Texten gehen. Ich möchte betonen, dass dies meine Sicht der Dinge ist. Sie ist nicht vollständig und wahrscheinlich auch nicht in allen Aspekten korrekt. Ich bin Pflegefachfrau. Ich arbeite in diesem System, sehe wie dieses System krank, anstatt gesund macht. Ich halte nichts davon in den bisherigen «Denkmustern» zu verharren. Ich bin für träumen, visionieren, neu denken.

Dieser Text beschäftigt sich mit der Frage: Was kann die Politik tun, um ein funktionierendes Gesundheitswesen zu erschaffen?

 

1)     Pflegende unter Naturschutz

Wie immer bei komplexen Problemen, ist es wichtig, mal irgendwo den Faden aufzunehmen. Ich sehe es als absolute Priorität an, die Pflegenden, die jetzt noch an der Basis arbeiten, auch an dieser halten zu können. Diese rare «Spezies» gehört bildlich gesprochen unter Naturschutz. Auf sie müssen wir jetzt bauen. Denn ohne sie, wird der dringend benötigte Nachwuchs nicht ausgebildet werden können.

Der SBK sowie die Gewerkschaften Unia, VPOD und Syna fordern dazu folgende Sofortmassnahmen, die besser gestern als morgen umgesetzt werden sollten.

 

·       Löhne/Arbeitszeit: Deutliche Lohnerhöhung bei gleichem Pensum bzw. Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn.

·       Zulagen: Massive Erhöhung der bestehenden Zulagen und Zeitgutschriften sowie Einführung von Zulagen für kurzfristige Dienstplanänderungen.

·       Ferien: mindestens 5 Wochen bis 49, ab 50 6 Wochen, ab 60 7 Wochen

·       Tatsächliche Erfassung und Abgeltung der Arbeitszeit: Z.B. inkl. Umkleidezeit, Wegzeit von einem Einsatz zum nächsten in der Spitex.

·       Kinderbetreuung: Zuschüsse für familienergänzende Kinderbetreuung.

·       Solange das benötigte Personal für eine gute Pflege fehlt, müssen Betten/Abteilungen geschlossen und in den Heimen Aufnahmestopps verhängt werden. Wir fordern die kantonalen Arbeitsinspektorate dazu auf, das geltende Arbeitsgesetz konsequent durchzusetzen und öffentlich darüber Bericht zu erstatten.

Ich höre schon die ersten monieren: Aber das kostet! Von ihnen möchte ich gerne wissen: Warum soll Gesundheit gratis sein? Und warum wird Gesundheit und Care so wenig wertgeschätzt? Denn eines sollte uns allen klar sein: Gesundheit ist das höchste Gut, das sich keiner kaufen kann. Zum Thema Finanzen werde ich mich später noch äussern.

Einige werden beim letzten Punkt nach Luft schnappen: Aber wenn Betten geschlossen werden, können vielleicht nicht mehr alle versorgt werden. Das meine Damen bis Herren der schweizerischen Bevölkerung habt ihr gewählt. (siehe auch meinen Blog «Gewählt»). Die Pflegenden in der Basis sind nicht mehr gewillt, das alleine zu tragen. Und wenn wir nicht noch mehr von uns verlieren wollt, helft ihr mit, diesen Versorgungsengpass aufzufangen.

 

Diese Massnahmen sind vielleicht nicht unbedingt attraktiv und werden das Problem nicht alleine lösen, Aber auch die allerlängste Reise fängt an mit dem ersten Schritt.

 

2)     Umsetzung der Pflegeinitiative

Das 1. Paket ( Ausbildungsoffensive/Direkte Abrechnung der Pflegefachpersonen) ist bereits durch Parlament und die Kantone sind dabei, die gesetzlichen Grundlagen zur Umsetzung dieses zu erarbeiten.

Das 2. Paket (Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung in der Pflege), kommt demnächst ins Parlament. Es ist das, worum wir bei der Abstimmung gekämpft haben. Das Parlament ist aufgefordert, da einen klaren gesetzlichen Rahmen zu setzen.

 

3)     An die Tafelrunde

Natürlich nicht an die von Artus und seinen Rittern (auch weil dort die Frauen fehlen. Ausserdem weiss niemand, wo genau dieser Tisch denn steht). Die zuvor genannten Punkte, sind mehr oder weiniger bekannt. Jetzt werde ich etwas «fantasievoller». Genauso wie bei den Sofortmassnahmen, wird auch bei der Umsetzung der Pflegeinitiative immer wieder über Geld gesprochen. Diese Frage muss geklärt werden. Ich bin der Ansicht, dass ausreichend Geld im Gesundheitssystem ist. Darum die Tafelrunde, bei der angeschaut wird, wo dieses Geld denn auch hingeht (Spoiler: in der Pflege ist es nicht), ob das Sinn macht und ob und wie es anders verteilt werden kann, damit nicht eine (resp. mehrere, denn auch bei den Ärzt*innen liegt einiges im Argen) Berufsgruppe zum Wohle unserer Gesellschaft ausblutet. Damit wird die Grundlage geschaffen, dass Gesundheitsberufe wieder attraktiv werden.

 

4)     Altlasten bereinigen

In den swissDRG ist die Leistung der Pflegenden nicht oder nur teilweise abgebildet. Die Folge: Die Spitäler erhalten viel zu wenig Geld für die Leistungen, welche ihre Angestellten (also die Pflegenden) erbringen. Dieser Missstand ist schon lange bekannt und gehört umgehend korrigiert. Nur so können die Betriebe in die Pflege investieren.

Pflegende dokumentieren sich die Finger wund. Das meiste zu Lasten der Pflege am Bett. Nicht alles, ist notwendig, einiges einfach kompliziert. Das gehört angeschaut. Die Arbeit zu dokumentieren, um die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten und im Zweifelsfall auch vor Gericht belegen zu können, was gemacht wurde, gehört ganz klar in den Aufgabenbereich der Pflegefachpersonen. Bei der Dokumentation der Statistik und der Abrechnung willen, zweifle ich. Dies gehört geprüft und die Pflege von allem entlastet, was nur möglich ist.

 

So, das war jetzt mein Abriss an Lösungsvorschlägen, wie der Pflegenotstand behoben werden kann. Aus meiner Sicht ist es das, was die Politik tun muss. Es geht darum den gesetzlichen Rahmen zu schaffen.

Was der Part von uns Pflegenden ist, darüber schreibe ich das nächste Mal.

Bleibt dran, liebe Leser*innen. Es bleibt spannend.

Patricia Tschannen

 

Dipl. Pflegefachfrau HF, Visionärin, Bloggerin Autorin 

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Kommentare: 1
  • #1

    Priska Zeyer (Freitag, 18 August 2023 17:57)

    Ich sehe ganz vieles genau so. Als langjährige Pflegefachperson und Teamleiterin bei der Spitex habe ich aber ein Problem mit der Forderung nach Schliessen von Spitalbetten und dem Aufnahme stop der Pflegeheime.
    Genau das passiert nämlich zur Zeit, mit der Folge dass die öffentliche Spitexen diese Patienten übernehmen müssen, bzw die Menschen statt ins Heim einzuweisen, weiter zuhause zu pflegen.
    Wir sind das letzte Glied in diesem System und wir können keine Patienten abweisen. Und wir laufen zunehmend völlig am Limit.
    Mit dem Schließen von Betten wird das Problem leider nicht gelöst, nur verlagert, auf Kosten von anderen. Das wird zunehmend vergessen von den Verantwortlichen.