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Kapitel 3

Bild: Yentl Fasel
Bild: Yentl Fasel

Empathinnen schlafen tief, fast komatös. Allerdings nur dann, wenn sie frei von fremden Gefühlen sind. Was bei so starken Empathinnen wie Ila kaum vorkommt. Sie kennt nur eine Möglichkeit, alle fremden Gefühle loszuwerden. Sich selbst Schmerz zuzufügen. Dieser Schmerz lässt sie dann alles Fremde loslassen, und sie kann sich selbst spüren. Das führt zu jener tiefen Entspannung, die dafür sorgt, dass Ila in einen fast komatösen Schlaf fällt. Offenbar haben aber Orgasmen dieselbe Wirkung, stellt Ila fest, als sie Stunden später aus tiefem, heilsamem Schlaf erwacht. Beim Gedanken an letzte Nacht steigt Hitze in ihr auf und sie wird rot. Oh mein Gott! Was hat sie getan? Sie erinnert sich an seine Hände auf ihrem Körper. Wie ihr Körper vibriert hat. Und das alles beim größten Feind ihres Bruders. Ächzend schließt Ila die Augen und zieht sich die Decke über den Kopf. Letzte Nacht ist nicht passiert. Genau. Wenn sie sich das lange genug einredet, glaubt sie es vielleicht. In ihrem Geist taucht ein Paar silbergraue Augen auf. Sie denkt an sein schwarzes schimmerndes Haar. Wie gerne hätte sie letzte Nacht ihre Finger durch dieses gleiten lassen. Aber sie hat es sich verboten. Weil es Cael gewesen ist. Warum ausgerechnet er? Bisher hat Ila es immer geschafft, Männliche Wesen auf Distanz zu halten. Natürlich hat sich schon der eine oder andere für sie interessiert. Doch Ila hat noch nie etwas für einen Magier oder Mann empfunden. Jedenfalls nicht so, wie jetzt für Cael. Jeder andere hätte es sein können. Bei jedem anderen hätte sie sich diesen Gefühlen hingegeben. Unwillig schüttelt sie den Kopf. Es macht keinen Sinn, weiterhin von etwas zu träumen, was unmöglich ist. Sie hat mit ihm geschlafen, ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt. Das kann sie nicht mehr rückgängig machen. Damit muss sie jetzt leben. Sie ist unaufmerksam gewesen. Ihr Fehler. Ein einmaliger Fehler. Ila atmet noch einmal tief durch und schwingt sich dann aus dem Bett. Als Erstes muss sie sich jetzt um ihren Sirenengesang kümmern. Noch so ein Intermezzo wie gestern möchte sie nicht riskieren. Eigentlich hat sie Glück gehabt, dass nur Cael auf ihren Sirenengesang reagiert hat. Nicht auszudenken, wenn gestern Nacht noch mehr paarungswillige Zauberer aufgetaucht wären. Cael hätte sie getötet. Jeden einzelnen, der versucht hätte, sich ihr zu nähern. Der Gedanke daran, lässt in ihr Übelkeit aufsteigen. Gequält schließt Ila die Augen. Sie kann nur hoffen, dass er nach dieser einen Nacht genug von ihr hat. Und jetzt muss sie diesen verdammten Sirenengesang zum Schweigen bringen. Dazu gibt es ein sehr gutes Mittel: Maiglöckchenwein.

«Fay, bist du da?», sucht sie die geistige Verbindung zu ihrer besten Freundin. «Ich bin doch immer da. Willst du herkommen?» Fay öffnet Ila das Portal zu ihr in die Hütte. Mit einem Lächeln lässt sich Ila in dieses hineinfallen. Nur Sekunden später steht Ila in Fays Küche. Die hat nichts mit den Küchen zu tun, die man sonst so sieht. Es ist eine echte Hexenküche. In der Ecke kocht etwas in einem riesigen Topf über dem offenen Feuer. Auf den Regalen sind unzählige Flaschen und andere Behältnisse mit interessantem Inhalt aufgestellt. Pulver, Cremes und Flüssigkeiten in verschiedensten Farben sind da zu bestaunen. Ila fragt sich, ob Fay wirklich bei jedem dieser Fläschchen, Tiegeln und Gläsern weiß, was sich darin befindet und wozu es benutzt werden kann. Es muss wohl so sein, denn zur Zierde stehen sie bestimmt nicht da.

«Tee?» Fay werkelt an der alten Spüle, welche direkt vor dem Fenster steht. Ila bejaht und beobachtet, mit welcher Eleganz Fay arbeitet. Ila setzt sich an den Holztisch, der einen großen Teil der Hütte einnimmt. Schwungvoll stellt Fay zwei Tassen auf den Tisch und setzt sich Ila gegenüber. «Voilà, Ingwertee mit frischer Zitrone. Und für dich noch mit einem Schuss Maiglöckchenwein», grinst sie. «Du hast ihn also gehört.» «Ja, als du mich gerufen hast. Gut wohnst du außerhalb des Reviers. Das hätte problematisch werden können. Es ist doch nichts passiert?» Kurz denkt Ila darüber nach, ihrer besten Freundin von Cael zu erzählen. Immerhin hat sie letzte Nacht ihre Jungfräulichkeit verloren. Sie verwirft diesen Gedanken aber sofort wieder. Nicht, dass Fay sie deswegen verurteilen würde. Fay interessiert sich nicht für den Krieg zwischen Dark Crow und Black Wolves. Also wenn man es genau nimmt, ist es ihr so ziemlich scheißegal. Und doch möchte Ila nicht, dass Fay deswegen in Schwierigkeiten kommt. Und diese Möglichkeit besteht durchaus. Als Erste Heilerin ist Fay nun auch im näheren Umfeld ihres Bruders, dem unbarmherzigen Alpha der Dark Crow. Für ihn gibt es nur schwarz oder weiß. Entweder ist man für oder gegen ihn. Auf Anzeichen von Verrat reagiert er empfindlich. Was Ila gestern getan hat, würde Dorn ganz bestimmt als das werten. Schon allein deshalb will sie Fay da nicht hineinziehen. So gerne Ila mit ihrer Freundin über alles sprechen würde, verneint sie nun hastig. Fay legt den Kopf schräg. Natürlich spürt sie, dass da etwas ist. Sie denkt darüber nach, weiter zu fragen. Entscheidet sich jedoch dagegen und wechselt das Thema. «Kommst du heute ins Training?» fragt Fay. Hexen kämpfen niemals im Ring. Trotzdem trainieren alle Frauen der Dark Crow. Dorn will es so. Die Frauen sollen sich notfalls selbst verteidigen können. Obwohl Ila sich fragt, was für ein Notfall das sein soll. «Nein, im Moment erlaubt mir Dorn noch ins Layana zu gehen.» Fay nickt zustimmend. «Bist du bereit für die Saison?» In wenigen Tagen beginnt die nächste Kampfsaison. Und Fay wird Erste Heilerin sein. Eine Stellung, die eigentlich für Ila bestimmt gewesen wäre. «Wie hat mein Bruder es eigentlich aufgenommen, als er erfahren hat, dass du die Erste Heilerin wirst und nicht ich?» Das hat Ila ihre Freundin schon lange fragen wollen. Es ist Fay gewesen, die zur Cuverna, wie die Produktionsfirma der Kampfshows genannt wird, gegangen ist und sich als Erste Heilerin beworben hat. Diese hat sofort angenommen, da auch ihnen klar gewesen ist, dass Ila diese Aufgabe niemals erfüllen kann. Ila selbst ist eine riesige Last von den Schultern gefallen, als sie von ihrer Verpflichtung befreit wurde. «Dorn ist selbstverständlich durch die Decke gegangen, hat man mir jedenfalls erzählt. Er hat mich in sein Büro zitiert. Hat mich aber nicht interessiert. Ich bin Heilerin, und somit nicht ihm unterstellt. Dies habe ich ihm ausrichten lassen. Damit ist für mich dieses Thema erledigt», erzählt Fay. Heiler, die ihren Dienst in der Cumbatsidat aufnehmen, gelten als neutral. Sie sind für alle verletzten Krieger da. Auch und vor allem, weil Heiler niemanden leiden lassen können, ohne selbst zu leiden. Dass erst heute Morgen Dorns Stellvertreter Kai hier gewesen ist, verschweigt Fay. Sie hat den Idioten hochkant rausgeworfen. «Bist du denn noch dabei?» fragt Fay nun vorsichtig. Sie weiß, wie viel sie von Ila verlangt und möchte sie keinesfalls unter Druck setzen. Trotzdem gehört Ila zu ihrem Team und Fay selbst wäre froh, zu wissen, dass sie die Kampfnächte gemeinsam durchstehen. Heiler und Heilerinnen, die für den Dienst in den Katakomben geeignet sind, sind rar. Fay ist auf jeden Einzelnen angewiesen. Ila lächelt. «Wenn ich kann, werde ich da sein. Und wenn ich nicht aus den Katakomben heraus muss, werde ich euch vielleicht auch eine Hilfe sein können.» «Musst du nicht. Das kann ich anders organisieren.», versichert Fay. Dankbar blickt Ila ihre Freundin an. Was wäre sie ohne Fay? Wahrscheinlich nicht einmal mehr am Leben. Tränen steigen in ihr hoch. Fay sieht es. «Hey, Große, nicht weinen jetzt, sonst muss ich auch», warnt sie und schneidet eine mürrische Grimasse. Natürlich muss Ila lachen, so ist es immer zwischen ihnen. «Übermorgen ist Halloween. Kommst du?», fragt Fay hoffnungsvoll. Halloween wird von den Dark Crow immer mit einer großen Party gefeiert. Und jedes Jahr gehen Fay und Ila dort gemeinsam hin. Da Ila die Festhalle sehr gut kennt, weiß sie auch, wo sie sich zurückziehen kann, wenn es ihr zu viel wird. «Klar. Aber nur wenn ich jetzt noch Maiglöckchenwein von dir bekomme. Ich habe keinen Bedarf, mit meinem Sirenengesang die Party aufzumischen», flachst sie. Lachend steht Fay auf und holt eine Flasche des Gebräus. «Und Ila, denk daran: In der Halle wird es heiß sein», erinnert sie ihre Freundin mit einem Augenzwinkern. Als Empathin friert Ila sehr schnell. Was dazu führt, dass sie sich entsprechend der Kälte draußen anzieht und dann in der heißen Halle drinnen schwitzt. «Ich werde versuchen, daran zu denken», grinst Ila. Sie umarmt ihre Freundin zum Abschied und demanifestiert sich dann. «Möge dein Licht stets leuchten und Heilung schenken», flüstert Fay ihr hinterher. Gedankenverloren schüttelt Fay den Kopf. Ihr Gefühl sagt ihr, dass Ila nicht alles erzählt hat. Letzte Nacht ist etwas passiert, das steht für Fay fest. Als ihre Freundin vorhin bei ihr angekommen ist, hat Fay nicht nur deren Sirenengesang gehört, sondern auch den sanften Zauber der erwachenden Weiblichkeit gespürt. Die eigenen Gedanken noch bei ihrer Freundin, wendet sich Fay dem auf dem Feuer dampfenden Kessel zu. Ein kurzer Blick hinein zeigt ihr, dass es Zeit ist, ihn vom Feuer zu nehmen und den Inhalt auskühlen zu lassen. Am Nachmittag wird sie den Brei dann zu Mistelpaste verarbeiten können. Die Heilerin arbeitet hochkonzentriert. Mistelpaste herzustellen, ist eine äußerst heikle Angelegenheit. Deshalb bemerkt sie nicht, wie sich direkt hinter ihr ein Portal öffnet. Männerarme schlingen sich um ihren schmalen Körper und zerren sie in das Portal, schmeißen sie regelrecht hinein. Einmal darin kann Fay nichts mehr dagegen tun. Ihr Körper wird herumgewirbelt und sie am Zielort hinausgeschleudert. Sie knallt direkt in einen stahlharten Männerkörper. Um nicht zu fallen, stützt sie sich mit den Händen an dessen Brust ab. Fay braucht nur wenige Sekunden, um sich orientieren zu können. Ein kahler Raum, eine Glasfront rechts neben ihr. Diese gibt den Blick frei auf eine Trainingshalle. Ein überdimensionaler Schreibtisch mit Edelstahlrahmen und einer Glasplatte. Keine persönlichen Gegenstände, die auf den Besitzer dieses Raumes schließen lassen. Hohe Kerzenständer ebenfalls aus Edelstahl sind im Raum verteilt. Die Weißen Kerzen lassen den Raum noch kälter wirken. Fay blickt auf die breite Brust vor ihr. Längst hat sie ihr Gleichgewicht gefunden. Trotzdem lässt sie ihre Hände, wo sie sind und nimmt die Gefühle ihres Gegenübers in sich auf. Sie spürt hitzige brodelnde Aggression, die Bereitschaft, jederzeit zuzuschlagen, und den Willen, zu unterwerfen, was sich ihm in den Weg stellt. Kriegerenergie. Etwas, was sie nicht identifizieren kann, trifft sie direkt in die Magengrube. Alles in ihr sträubt sich, einen Schritt zurückzumachen. Es wäre eine kleine Kapitulation und das darf sie nicht. Nicht bei diesem Magier. So nimmt sie lediglich ihre Hände von seinem Körper und hebt den Kopf. Sie blickt direkt in das kantige Gesicht von Dorn Delay, Alpha der Dark Crow, und das größte Arschloch von Mann, das ihr je in ihrem Leben begegnet ist.

«Was zum…» weiter kommt Fay nicht, schon knurrt er sie an: «Ich habe dich zweimal rufen lassen. Und du hast dich mir zweimal widersetzt.» Er wird sich so etwas nicht bieten lassen. Schon gar nicht von einer Hexe. Fay strafft ihren Rücken und funkelt ihn aus ihren dunkelbraunen Augen wütend an. Was fällt diesem Bastard ein? So kann er mit seinen Tussis umspringen, aber nicht mit ihr! «Ich bin die Erste Heilerin. Keiner lässt mich rufen. Mich bittet man höflich um einen Termin!», zischt sie wütend. Sein Blick wird stahlhart und kalt. «Du hast Ila und somit auch mich verraten. Dafür wirst du bezahlen! Egal, wer oder was du bist!» Fay muss ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihm nicht jetzt gleich eine zu scheuern. Was bildet der sich ein, so über sie zu urteilen? Wütend versetzt sie ihm einen mentalen Stoß, der ihn so unvorbereitet trifft, dass er tatsächlich zwei Schritte zurücktaumelt. Ihre Aura leuchtet rot auf vor Wut. «Fragt sich, wer hier mehr Verräter ist. Diejenige, die über Tage Ilas Seele in unserer Welt gehalten und für sie geatmet hat, oder derjenige, der in jener Zeit nicht ein einziges Mal bei ihr war! Ganz abgesehen davon, dass Ila selbst nie Erste Heilerin sein wollte. Sie hat das nur gemacht, weil sie geglaubt hat es zu müssen, als Schwester eines Alphas», schleudert sie ihm entgegen. In den Augenwinkeln nimmt sie wahr, dass sämtliche Kerzen im Raum brennen. Ist das ihre oder seine Wut gewesen? Dieser Arsch bringt sie völlig aus der Fassung. Noch nie ist sie so nah daran gewesen, die Beherrschung zu verlieren. Außer vielleicht in der Pubertät. Aber die hat Fay schon lange hinter sich. Sie muss sich beruhigen. Sonst ist sie mit seiner Hilfe noch imstande und steckt dieses verdammte Büro in Brand. Fay atmet tief durch, zieht ihre Aura wieder in ihren Körper zurück. Sie wirft ihm einen vernichtenden Blick zu und fährt mit ruhiger und klarer Stimme fort: «Es geht hier nicht um Ila. Du willst mich lediglich unter Druck setzen und mich manipulieren. Das wird dir nicht gelingen. In den Katakomben gelten ab sofort die Grundsätze der Heilerinnen und Heiler. Auch für dich und die Dark Crow.» Mit diesen Worten wendet sie sich von ihm ab und tritt an die Fensterfront. Sie sieht hinaus in die große Halle, die sich langsam füllt.

Wutentbrannt betrachtet Dorn die Hexe vor sich. Noch nie hat jemand so mit ihm gesprochen und dies unversehrt überstanden. Nein, er will sie nicht schlagen. Als Krieger von Ehre würde er niemals eine wehrlose Hexe schlagen. Er will sie ficken, bis ihr letztes bisschen Widerstand aus ihr entwichen ist. Bilder tauchen in seinem Geist auf. Sie, vollkommen nackt, stöhnend unter ihm. Ungefiltert sendet er diese Vision der Hexe vor ihm. Völlig unvorbereitet trifft es Fay. Sie kann nicht verhindern, dass ihr Körper auf das, was er ihr schickt, reagiert. Nicht mit Angst und auch nicht mit Ablehnung. Sondern mit Begierde. Mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft katapultiert sie Dorn aus ihrem Geist. «Träum weiter!», faucht sie.

Ein Wimpernschlag. Und Dorn knallt sie an die Glasscheibe. Sein heißer Atem in ihrem Nacken lässt Fay erschauern. Er umfasst kurz ihre Brüste, dann gleiten seine Hände aufreizend über ihren Oberkörper nach unten zu ihren Hüften. Oh ja, sie ist schmal, aber durchaus trainiert. Ihr Körper ist geschmeidig und biegsam. Das spürt er durch den Stoff ihres grünen Kleides hindurch. «Ich bekomme immer, was ich will», knurrt er. Seine Hände finden den Weg unter ihr Kleid zu ihren nackten Oberschenkeln. Langsam, aber unaufhaltsam lässt Dorn sie nach oben zu ihrer Mitte wandern. Ihre Haut ist weich und warm. Fay weiß, dass sie ihn aufhalten muss. Sie kann sich nicht mit diesem Wichser einlassen. Aber ihr Körper lässt sich nicht kontrollieren. «Lass…», keucht sie, unfähig den Satz zu beenden. «Du willst mich.» Seine Stimme ist kehlig und wieder erschauert sie. Sie will es bestreiten, auch wenn es gelogen wäre, aber sie kann nur hilflos stöhnen. Dorn erreicht ihr Zentrum, presst seinen Daumen auf ihre Klitoris. Gequält schreit Fay auf, als Lustblitze durch ihren Körper zucken. Sie spürt sein animalisches Grinsen an ihrem Nacken. Dorn hat sie genau da, wo er sie haben will. So sehr ihrem Körper gefällt, was Dorn mit ihr macht, ebenso sehr bekämpft ihn ihr Geist. Dorn nimmt ihr Dilemma wahr und er genießt es. Sie hat verloren. «Gib auf, kleine Hexe», flüstert er und beißt sie in den Nacken. Jeder Muskel in ihr zieht sich zusammen. Voller Sehnsucht. Aber ihr Geist kämpft. «Niemals!», zischt sie. Da versenkt Dorn einen Finger in ihre Nässe. Hilflos schreit Fay auf, als die Lust ihren Körper überschwemmt. «Ich bekomme dich. Gib zu, dass ich dich habe!» Alles in ihr begehrt ihn und alles in ihr wehrt sich dagegen. Sie muss das beenden, jetzt! Sonst wird sie sich verlieren an diesen dämonischen Mann. Er würde nichts mehr von ihr übrig lassen. «Lass mich los.» Ihre Stimme zittert. «Was, wenn ich es nicht tue? Was willst du mir entgegensetzen? Dein Körper steht in Flammen, meinetwegen. Du willst genommen werden. Von mir.» Nun reicht es Fay endgültig. Mit beiden Händen stößt sie sich von der Glasscheibe ab. Das gibt ihr gerade genug Raum, um ihre Hände über den Kopf zu heben. «Cosnaia Crow!», ruft sie und zieht ihre Arme an den Seiten herunter. Unmittelbar nach ihren Worten manifestiert sich eine Krähe. Schützend schwebt sie zwischen ihr und dem überraschten Dorn. Diese verdammte Hexe hat es tatsächlich geschafft, eine Schutzkrähe heraufzubeschwören. Nur die wenigsten Magier schaffen das. Und dass eine Hexe das kann, hat er noch nie gehört. Ohne ihn nochmal anzusehen, demanifestiert sich Fay und lässt einen fluchenden Dorn zurück.

Kaum ist sie wieder in ihrer Küche gelandet, erfüllt Dorns bebender Zorn und seine Stimme den kleinen Raum. «Die Jagd ist eröffnet kleine Hexe! Ich werde dich kriegen und dann Gnade dir Gott!» «Nenn mich nicht kleine Hexe!» zischt sie, bevor sie blitzschnell einen geistigen und realen Schutzkreis um ihr Haus zieht.

Rasend vor Wut schlägt Dorn mit der Faust gegen die Wand. So heftig, dass alles um ihn herum wackelt. Diese verfluchte kleine Hexe! Er wird sie kriegen. Diesmal hat er sie unterschätzt. Das wird ihm nicht noch einmal passieren. Vögeln will er sie. Hier in seinem Büro. An die Scheibe gepresst oder über seinen Schreibtisch gebeugt. In jeder erdenklichen Stellung will er sie nehmen. Wieder und wieder, bis sie sich ihm ergeben muss und sie nur noch seinen Namen schreien kann.

Grollend blickt Dorn auf seinen Schreibtisch. Er hätte größte Lust, die darauf liegenden Papiere einfach auf den Boden zu fegen und seinen Frust entweder in einem Kampf oder in einer Frau los zu werden. Leider wartet auf diesem vermaledeiten Schreibtisch der Monatsabschluss, den er heute machen muss. Vielleicht sollte er doch mal Mark diese Aufgabe übergeben?. Schließlich ist dieser sein Stellvertreter. Allerdings behagt es Dorn nicht, wenn er über etwas so Wichtiges wie die Finanzen der Gang keine Kontrolle hat. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als sich zusammen zu nehmen und dieses Ding durchzuziehen. Wenn er sich ranhält, sollte er in etwa zwei Stunden damit durch sein. Dann hat er immer noch genug Zeit, sich beim Training abzureagieren. Sollte das nicht reichen, wird er sich den jungen Kriegern anschließen und noch etwas um die Häuser ziehen. Bisher ist es für Dorn nie ein Problem gewesen, eine Frau zu finden, die willig seine Bedürfnisse befriedigt. Doch tief in seinem Inneren weiß er jetzt schon, dass ihm das heute nicht genügen wird.

Am anderen Ende der Stadt drischt Cael gerade auf einen Sandsack ein. Seit er, nach einer durchwachten Nacht, aufgestanden ist, versucht er, die Unruhe in sich loszuwerden. Er ist bereits zwei Stunden gelaufen und hat sich beim Krafttraining ausgepowert. Eigentlich ist sein Körper fix und fertig. Doch sein aufgewühlter Geist lässt ihm keine Ruhe. Ihm selbst ist dieser Zustand unerklärlich. Noch nie hat er sich so gefühlt. Seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, alles ihn ihm auf Angriff ausgerichtet. Als er von Boxschlägen zu Kicks wechselt, realisiert er, dass sein Stellvertreter mit verschränkten Armen an der Wand lehnt und ihn beobachtet. Cael hält nur eine Sekunde inne, macht dann aber sofort weiter. Kyle sieht ihm noch einige Zeit zu. Dann siegt jedoch seine Neugier. Dass Cael äußerst aufgewühlt ist, hat Kyle schon gemerkt, als er die Halle betreten hat. Die Wände haben geradezu vibriert von der Energie, die Cael in sein Umfeld herauslässt. Da sein Alpha sich sonst immer absolut im Griff hat, ist dies sehr ungewöhnlich. Irgendwie amüsiert es Kyle beinahe, dass der kühle Cael tatsächlich dabei ist, die Nerven zu verlieren. Lässig schlendert er nun zu ihm hin und meint: «Also nur mal so zur Information, Alpha, der Sandsack ist schon tot.» Der Blick, der Kyle trifft ist vernichtend, beeindruckt ihn jedoch nicht. Cael wendet sich sogleich wieder von Kyle ab und bearbeitet weiter den Sandsack vor ihm. Er selbst hat keine Ahnung, wie lange er das noch durchhalten wird. Seine Lungen schmerzen bereits vor Anstrengung und das Blut rauscht in seinen Ohren. Und noch immer ist diese Rastlosigkeit da, die ihn weitertreibt. Kyles nächste Worte treffen ihn wie ein Schlag in den Magen. «Wie heißt sie?» Ruckartig dreht Cael sich zu ihm um. «Wie kommst du denn darauf?», will er wissen. Feixend erwidert Kyle: «Wenn sich ein Magier aufführt wie du, nämlich wie ein wild gewordener Stier, ist meist eine Hexe der Grund dafür.» «Wenn dich jemals ein Mann oder Magier so berührt wie ich, werde ich ihn töten!» Diese Worte hallen plötzlich in Caels Kopf wider. Er hat sie gesprochen, zu Ila, nachdem er sie verführt hat. Und er hat jedes einzelne Wort so gemeint. Ihm selbst ist schleierhaft, warum er das getan hat. Aber das ist der Grund, weshalb er keine Ruhe mehr findet. Ihr zierlicher Körper, ihr unschuldiger Geist und ihre reine Seele lassen ihn nicht mehr los. Mit jeder einzelnen Faser seines Seins, sehnt er sich nach ihr. Caels gequälter Gesichtsausdruck bestätigt Kyle, dass er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hat. Nun ist Kyle wirklich neugierig. Noch nie hat eine Hexe Cael so sehr beeindruckt, dass er ihretwegen die Fassung verloren hätte. Überhaupt hat Cael sich noch nie auf eine längere Beziehung mit einer Hexe eingelassen. Länger als ein paar Wochen hat noch keine seiner Affären gedauert. Gerade als Cael sich wieder seinem Boxsack zuwenden will, hält Kyle ihn auf. «Komm schon, Bruder, erzähl! Woher kommt sie, was macht sie, wie heißt sie?» Innerlich verdreht Cael die Augen. So sehr er Kyle als Magier, als Krieger und als sein Stellvertreter schätzt, er ist neugieriger als jedes Weib. Kurz denkt Cael darüber nach, sich dumm zu stellen. Das macht aber keinen Sinn. Kyle hat Blut geleckt und wird nicht nachgeben. Und wenn Cael ehrlich ist, hat er auch wirklich das Bedürfnis zu reden. Freundschaftlich klopft Kyle ihm auf die Schulter und meint: «Geh duschen, Mann. Ich organisiere Bier.»

«Ilarja Delay, echt? Du hast Dorns Schwester gefickt?» Kyle fehlen beinahe die Worte. Sie sitzen am Flussufer und trinken das Bier, welches Kyle beschafft hat. Es hat einige Biere und Kyles Schwur, niemandem auch nur ein Wort zu sagen, bedurft, bis Cael endlich angefangen hat, zu erzählen. Seufzend schüttelt Cael den Kopf. «Nein, Mann, ich habe sie nicht nur gefickt. Ich habe sie entjungfert und danach habe ich sie auch noch beansprucht!» Gedankenverloren blickt er auf das vor ihm fließende Wasser. «Ich habe so etwas noch nie gemacht. Noch nie habe ich so sehr die Kontrolle verloren, Kyle.» «Du willst sie noch immer», erkennt dieser. «Ja. Wahrscheinlich noch mehr als zuvor», brummt Cael. «Dann hol sie dir!» schlägt Kyle unbekümmert vor. «Kyle, wie du vorhin gerade festgestellt hast, ist sie die Schwester von Dorn. Und der ist, wie dir nicht entgangen sein kann, mein größter Feind!» poltert Cael. Mitleidig blickt Kyle ihn an. «Dorn ist dein Feind, nicht sie. Außerdem bist du ein Alpha. Und Alphas holen sich, was sie haben wollen. Und du willst sie, hast du gerade eben gesagt oder nicht?» Cael erwidert nichts, da Kyle die Antwort sowieso schon kennt. «Ich meine, warum willst du jetzt schon aufgeben, wo es doch gerade erst begonnen hat? Du hast dich bisher immer auf deinen Instinkt verlassen können. So wie du es schilderst, ist zwischen dir und Ila eine Verbindung entstanden, die ihr beide nicht beabsichtigt habt. Trotzdem ist sie da. Warum nicht einfach sehen, wo sie hinführt?» Nachdenklich blickt Cael seinen besten Freund an, sagt jedoch nichts. Da erhebt sich Kyle und meint: «Morgen ist Kampftraining und mein Alpha mag es nicht, wenn ich da unausgeruht bin. Ich mach mich vom Acker. Und du solltest sehen, dass du deine Ila wiedersiehst. Nur so kannst du nämlich herausfinden, was zwischen euch ist oder nicht ist. Außerdem kannst du wohl nur bei ihr Druck ablassen.» Noch ehe Cael etwas erwidern kann, hat Kyle sich bereits demanifestiert. Cael weiß, dass Kyle recht hat. Er muss sie sehen, sie fühlen, sie schmecken. Konzentriert lässt er seinen Geist wandern und nach der Frau suchen, die alles verändert.

 

©by Patricia Tschannen, 2024

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