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Kapitel 12

Bild: Yentl Fasel
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Ila ist froh, dass sie diese Kampfnacht nicht in den Katakomben verbringen muss. Das hätte ihre Kräfte überstiegen. Ihr ist das ebenso klar gewesen, wie ihrer Freundin Fay. Allerdings wäre Ila am liebsten Zuhause geblieben. Rafe braucht jedoch immer noch regelmäßig Sangsuir, jenen Trank, der Blut neu bildet. Auch sonst ist Rafe noch nicht ganz bei Kräften und Fay hätte ihn nur ungern allein gelassen. In ihrer Eigenschaft als Erste Heilerin wird Fay jedoch in den Katakomben gebraucht. Und so sitzt nun Ila, eingekuschelt in Fays dunkelgrünes Cape im «Nest» neben dem Feuer. Vor ihr flimmert der Bildschirm. Sie wird die heutige Kampfnacht über diesen verfolgen. Einfach, damit sie mitbekommt, was geschieht. Ila weiß, die Solidaservet hat für Aufruhr gesorgt. Eine Aufruhr, die Ila nicht mehr aufhalten kann und die sie fürchtet. Sie spürt sie in ihrem Körper. Es ist ein ständiges Ziehen in ihrem Bauch. Seit jener Nacht ist Cael nicht mehr bei ihr gewesen. Und das ist jetzt schon eine Woche her. Nur die geistige Verbindung hält Cael noch zu ihr, doch auch hier ist er stumm. Ila ist sicher, würde sie ihn selbst kontaktieren, er würde antworten. Aber das hat sie noch nie getan. Jedenfalls nicht bewusst. Auch wenn sie sich selbst schon lange eingestanden hat, dass zwischen ihr und Cael ein starkes Band besteht, kann und will sie das nicht akzeptieren. Sie ist eine Dark Crow und er ein Black Wolves. Das kann einfach nichts werden. Nicht mehr als dunkle Liebe, wie die Liebe zwischen zwei eigentlichen Feinden auch genannt wird. Dunkle Liebe ist gefährlich und bedeutet nicht selten den Tod für die Liebenden. Vielleicht hat Cael das auch eingesehen. Obwohl diese Hoffnung eher illusorisch ist. Und auch Ila selbst verspürt bei dem Gedanken, dass es vorbei sein könnte, eher das Gefühl von Verlust als Begeisterung.

 

Sein Zorn lässt das ganze Haus erbeben und reißt Ila aus ihren Gedanken. «Heb den verdammten Schutzkreis auf!» Einen kurzen Augenblick ist sie versucht, nicht zu reagieren. Dieser Bruchteil einer Sekunde reicht schon aus, Cael rasend zu machen. Er versetzt Ila einen so heftigen mentalen Stoß, dass der Schmerz sie aufschreien lässt. «Es ist äußerst unklug, sich mir jetzt zu widersetzen», knurrt er. Cael ist wirklich außer sich, erkennt Ila. Noch nie hat sie seine Emotionen so deutlich gespürt. Jetzt scheint er sie nicht zurückhalten zu können. Sie muss sich ihm stellen. Der Typ ist im Stande und sprengt noch den ganzen Wald einschließlich dem «Nest» in die Luft. Einen kurzen Moment überlegt Ila, ob dies bei dem starken Schutzkreis, welchen Fay erschaffen hat, überhaupt möglich ist. «Glaub mir, du willst es nicht darauf ankommen lassen.» Ila kann sich selbst nicht erklären, weshalb sie Erleichterung verspürt, als Cael auf ihren Gedanken reagiert. Sie findet das immer noch besser als dieses brütende Schweigen der letzten Tage. 

Bild:Shotshop
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Mit einem tiefen Ausatmen tritt sie vor das Haus. Es ist leicht, der Gedankenspur des tobenden Cael zu folgen. Kaum hat er bemerkt, dass sie sich demanifestiert, zieht er sie auch schon ruckartig an sich. Ila knallt geradezu an seinen harten Körper. «Willst du etwa fliehen, Krähenmädchen?» Als sie von ihm wegtreten will, packt Cael ihre Taille und presst sie weiter an sich. Ila beginnt zu zappeln und versucht, sich zu befreien. Natürlich ist sie erfolglos. Schon nach kurzer Zeit gibt sie auf und hält still. Sie hebt den Kopf und blickt ihn mit blitzenden Augen an. «Es ist nicht mein Schutzkreis. Also kann ich ihn auch nicht aufheben!», erklärt sie ihm leicht gereizt. Dieser Magier nervt mit seinem Kontrollwahn. «Er ist da drin und du bist bei ihm!», flucht er. Verständnislos sieht sie ihn an. «Rafe», spuckt er aus, «der Magier, der dich beinahe getötet hat.» Ungläubig schüttelt Ila den Kopf. «Die Solidaservet war meine Entscheidung.» Dass ihr Bruder sie darum gebeten hat, wird sie dem ohnehin schon wutschnaubenden Cael jetzt nicht auf die Nase binden. «Er hätte ablehnen müssen!» In seiner Stimme ist nur Verachtung zu hören. «Es ist sein Recht, Cael. Ich bin eine Dark Crow, Solidaservet hat es bei uns schon immer gegeben», versucht sie ihm begreiflich zu machen. Seine Hand krallt sich in ihre Haare, er zwingt sie ihn anzusehen. «Nie wieder wirst du so etwas für einen Magier tun! Dafür werde ich sorgen. Du solltest heute Nacht bei der Show gut hinsehen.» Nach diesen Worten senkt er seine Lippen auf ihre. Er drängt seine Zunge in ihren Mund, lässt sie nochmals seine Wut, aber auch seine Macht spüren. Bis Ila am ganzen Körper bebt, die Lust nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Geist überflutet. Dann lässt er ihre Haare los und umfasst stattdessen ihre Kehle. «Du gehörst mir, Ila. Ich habe dich entjungfert und damit auch beansprucht. Wenn du noch einmal einen anderen Magier zu heilen versuchst, ist er tot. Das schwöre ich dir.« Kaum hat Cael die Worte gesprochen, ist er auch schon verschwunden. Zitternd und aufs Höchste verwirrt, kehrt Ila ins «Nest» zurück. Dort setzt sie sich wieder vor den Bildschirm und schaut zu, wie die sonore Stimme des Kommentators den Beginn der dritten Kampfnacht der Saison verkündet. «Wir alle erinnern uns an die letzte Kampfnacht. Cael Vandorra, Alpha der Black Wolves, hat Rafe Lusian in einem legendären Kampf geschlagen. Damit ist Cael Vandorra der neue Meister. Und er hat uns etwas zu sagen.» Kreischen und Beifall vom Publikum, als die Musik der Black Wolves erklingt. Dunkel und gefährlich, von großer und trainierter Gestalt, für niemanden fassbar, schreitet Cael zum Ring. In seiner Hand hält er den Gürtel, welcher ihn als Meister der Cumbatsidat ausweist. Lässig schwingt er seine Beine über die Ringseile. Respektvoll, fast ein wenig ängstlich reicht ihm der Sprecher das Mikrofon. «Was ich zu sagen habe, geht an dich, Dorn Delay. Du Pisser hast versucht, mich um das zu bringen, was Mein ist! Und ich weiß, wie sehr es dich ankotzt, dass ich den Meistertitel halte. Gerne würde ich diesen Triumph weiter auskosten. Aber ich will mehr. Und darum biete ich dir einen Meisterkampf an. In der nächsten Kampfnacht. Du gegen mich. Wenn du gewinnst, hast du den Titel. Wenn ich gewinne, muss ein Mitglied der Dark Crow vor mir bedingungslos kapitulieren. Wer das sein wird, werde ich nach meinem Sieg bestimmen. Eine Solidaservet wird nicht akzeptiert. Was ist, du ehrloses Stück Scheiße, bist du dabei oder hast du die Hosen voll?» Die Herausforderung ist ausgesprochen. Der harte Beat der Dark Crow erklingt und Dorn erscheint auf der großen Leinwand. «Cael, du Fliegenficker! Ich werde dir den Arsch aufreißen! Ich kämpfe um den Titel und du um die bedingungslose Kapitulation eines Mitglieds der Dark Crow. Eine Solidaservet wird nicht akzeptiert.» Die Herausforderung ist angenommen, der Deal damit bindend. Die Cumbatsidat bebt, die Aussicht auf einen solchen Kampf lässt das Adrenalin noch weiter hochkochen. Jeder freut sich auf die nächste Woche, kann es kaum mehr erwarten. Alle wollen wissen, wer von den beiden siegen wird. Nur in einem Haus, nahe dem Waldrand sitzt eine Hexe, die am ganzen Körper bebt und sich wünscht, die Zeit würde gerade jetzt stehen bleiben. 

Bild:Shotshop
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Was diese selbstverständlich nicht tut. Die ganze Woche über versucht Ila nicht daran zu denken, was am Samstag passieren kann. Nein, falsch, was am Samstag wahrscheinlich passieren wird. Sie hat wenig Hoffnung, dass Dorn gegen Cael gewinnen wird. Nicht, weil Dorn der so viel schlechtere Krieger wäre. Was das betrifft, sind sich die beiden ebenbürtig. Doch Ila ist bewusst, Cael wird ebenso entschlossen sein, wie im Kampf gegen Rafe. Weil es um sie geht. Einzig und allein um sie. Immer wenn sie daran denkt, läuft es ihr kalt den Rücken herunter. Was hat er mit ihr vor? Was wird er mit ihr tun? Wenn er das wirklich durchzieht, wird sie alles verlieren. Ihr Zuhause, ihre Freunde, die Katakomben und die Musik. Nichts wird für sie mehr sein, wie es war. Schon der Gedanke daran schnürt ihr die Kehle zu. Wenn es einen Sinn hätte, würde sie fliehen. Doch egal wo sie hingeht, Cael würde sie finden. Denn obwohl er nie richtig mit ihr Kontakt hat, spürt sie ihn mehrmals täglich in ihrem Geist. Er kontrolliert sie. Noch hat er wenig Einfluss auf ihr Tun, doch wenn sie vor ihm kapituliert, wird das anders sein. Nur die Unterwerfung ist noch schlimmer. Diese hat Cael nicht gefordert, weil Dorn sich darauf wohl nicht eingelassen hätte.

Die Zeit lässt sich nicht aufhalten, so sehr Ila sich das wünscht. Und so steht sie am Samstagabend mit flauem Magen und weichen Knien unten in den Katakomben. Allen ist bereits aufgefallen, wie still sie ist. Obwohl sie ja immer sehr ruhig ist. Ila weiß, sie glauben, es ist, weil sie Angst um Dorn hat. Genau wie Fay. Dass Fay höchst besorgt ist, hat Ila schon bei der Begrüßung bemerkt. Und dass zwischen ihr und ihrem Bruder etwas läuft, ist in den Katakomben ein offenes Geheimnis. Nicht, dass Ila etwas dagegen hätte, auch wenn es sie sehr erstaunt. Doch dieser Umstand hat dazu geführt, dass sie Fay nichts von ihren Befürchtungen gesagt hat. Ila weiß zwar, dass Fay sie niemals für ihre Affäre mit Cael verurteilen würde. Aber Fay würde alles tun, um sie zu beschützen. Und wenn sie sich Cael in den Weg stellen würde, könnte das Fay das Leben kosten. Also schweigt Ila über ihre große Not und versucht, ihre Arbeit zu machen. Das gelingt ihr, bis zu dem Moment, in dem die Stimme des Kommentators erklingt: «Es ist der Kampf des Abends. Meistertitel oder Kapitulation eines Mitglieds der Dark Crow. Wer wird gewinnen? Wenn Vandorra gewinnt, wen wird er wählen? Und wird jener, der gewählt wird, tatsächlich kapitulieren? Denn das ist immer noch dessen Entscheidung. Es sei denn, Vandorra fordert Dorns Kapitulation.» Der Herausforderer betritt als erster den Ring. Cael. Ila bleibt das Herz stehen, als sie ihn sieht. Schon durch den Bildschirm kann sie seine Entschlossenheit erkennen. Noch durch den Bildschirm fühlt sie, wie seine Macht alles vibrieren lässt. Dorn folgt nur Minuten später. Er ist das Sinnbild eines Kriegers. Begierig darauf, sich zu messen, zu kämpfen und zu siegen. Der Gong eröffnet den Kampf. Dorn stürzt sich geradezu auf Cael. Und rennt direkt in dessen erhobenen Fuß. Dorn knallt auf den Rücken. Blitzschnell springt er wieder auf die Füße. Doch Cael hat schon die Hand an seiner Kehle, drückt kurz zu und schleudert ihn erneut zu Boden. Mit wutverzerrtem Gesicht steht Dorn auf und rammt Cael den Oberschenkel in den Bauch. Als Cael zurückweicht, klatscht auch noch Dorns Handrücken in Caels Gesicht. Die Zuschauer brüllen vor Begeisterung. Das wird ein Kampf, wie sie ihn sich gewünscht haben. Mit aller Härte gehen die zwei Krieger im Ring aufeinander los. Sie schenken sich wahrlich nichts. In den Katakomben fragt sich Fay ein weiteres Mal, wie man so etwas geil finden und fürs Zuschauen sogar noch Geld bezahlen kann. Sie selbst kann kaum hinsehen. Dorn lässt sich fallen und wischt Cael von den Füßen, sofort ist Dorn über ihm, packt Caels Arm überstreckt diesen und verdreht Caels Handgelenk. Der Schmerz, der Cael erfasst, ist vernichtend. Er schreit ihn heraus und versucht, sich aus dem Hebelgriff zu lösen. Für den Augenblick scheint es, als ob der Black Wolves aufgeben müsste. Doch dann schafft es Cael, sich aus dem Griff zu winden, und steht wieder. Bewunderung macht sich in der Cumbatsidat breit. Dorns Attacke und der Griff hätten eigentlich zum Sieg reichen müssen. Niemand in der Cumbatsidat ahnt jedoch, um was Cael wirklich kämpft. Und dass da Aufgeben keine Option ist. Auch Dorn muss frustriert feststellen, dass Cael wirklich bis zum Äußersten geht. Wildentschlossen stürzt er sich kopfvoran auf Cael, versucht ihn durch seine Größe, sein Gewicht und seine Stärke zu Boden zu rammen. Aber Cael, der Mistkerl, ist nicht unterzukriegen. Dem ungestümen Angriff weicht er einfach aus. Dann springt Cael Dorn seitlich an. Der Kick, mit dem er Dorn am Kopf trifft, ist so hart, dass die ganze Cumbatsidat den Knall hören kann. Unten in den Katakomben schließt Ila gequält die Augen. Es wird geschehen.

Dorn fällt rückwärts, rollt sich aber sofort ein. Schwer atmend schaut Cael zu, wie Dorn sich aufrappelt, wartet, bis sein Gegner steht. Zwei Sekunden blicken sich die beiden Feinde in die Augen. Dann springt Cael aus dem Stand mit beiden Füßen hoch. Er trifft Dorn mitten ins Gesicht. Wie ein gefällter Baum, knallt Dorn auf die Ringmatten. «Game Over», murmelt Lee, der ebenfalls den Kampf verfolgt. Als ehemaliger Krieger ist ihm klar, nach so einen Kick, steht keiner mehr auf. Auch ein so zäher Krieger wie Dorn nicht. Mit gespreizten Beinen steht Cael über Dorn, wie er es bereits bei Rafe tat. Und diesmal springt er. Nicht mit den Füßen voran, sondern mit den Knien. Alle Luft entweicht Dorns Lungen. Regungslos bleibt er liegen. «Der Kampf ist vorbei, Cael Vandorra hat gesiegt», verkündet die Cuverna über Lautsprecher und weiter: «Der Deal tritt in Kraft. Cael Vandorra hat das Recht, die bedingungslose Kapitulation eines Mitglieds der Dark Crow zu fordern. Kein Dark Crow verlässt die Cumbatsidat, bevor Cael den Namen genannt hat.» «Müssen wir Dorn holen?», fragt Lee in die Stille. Fay schüttelt nur den Kopf. «Er wird es nicht zulassen. Seine Verletzungen sind nicht so groß, dass wir es erzwingen müssen», erwidert Fay. Trotzdem ist auch sie sehr blass. Die Verletzungen von Dorn schmerzen sie. Nicht nur, weil sie Heilerin ist, sondern auch wegen der körperlichen Verbindung zwischen ihnen. Ein Ziehen und Flattern in Fays Bauch kündigt die Veränderung an, die unmittelbar bevorsteht. Veränderung ist ein zu kleines Wort, es ist ein Bruch, der sich ankündigt. Fays Herz wird schwer und wird von kalter Angst erfüllt. Bedeutet dies, dass Cael Dorns Kapitulation fordert? Das würde Dorn niemals überleben. Mit einem tiefen Atemzug versucht Fay, sich wieder zu erden. Sie kann sich ihren Ängsten jetzt nicht hingeben. Inzwischen haben beide Krieger den Ring verlassen. Der nächste Kampf wird angesagt. Die Nacht geht weiter. Kurz sucht sie den Kontakt zu Ila, findet sie in ähnlicher Aufruhr vor. Sie bietet Ila an, sich zurück zu ziehen. Da Ila ebenfalls eine Dark Crow ist, darf sie jetzt nicht nach Hause. Doch Ila lehnt ab. Sie hofft wie Fay durch die Arbeit Ablenkung zu finden. Es gelingt ihr jedoch nicht. Ihre Gedanken drehen sich um das Bevorstehende. Sie ist wohl die Einzige in den Katakomben, die jetzt schon weiß, was geschehen wird, sich vor dieser Realität fürchtet und das Unwahrscheinliche erhofft. Was, wenn er wirklich sie fordert? Schon beim Gedanken daran wird ihr übel. Es würde nicht nur ihr Leben zerstören. Auch die Beziehung zu Cael würde auf dem Spiel stehen. Ila kann nicht sagen, was passiert, wenn er sie auf so brutale Weise an sich bindet. Würde sie ihm weiterhin so vertrauen, wie sie es jetzt tut?

 

Erst zwei Kämpfe später erklingt wieder die Musik der Black Wolves. Ila und Fay zucken zusammen, als sie das Heulen des Wolfes hören. Wie gebannt starren sie auf den Bildschirm. Alle Scheinwerfer sind auf Cael gerichtet, als er das Mikrofon an den Mund hebt und spricht: «Dorn, du Missgeburt, ich bin der Sieger. Das hast du inzwischen auch bestätigt. Und jetzt wirst du hören, welcher Dark Crow heute Nacht vor mir bedingungslos kapitulieren wird. Wenn nicht, verlierst du dein Gesicht und damit die Lizenz für die Cumbatsidat!» Cael wartet, bis seine Worte ins Bewusstsein aller Anwesenden eingedrungen ist, «Viele denken, ich fordere Dorns Kapitulation. Du selbst wahrscheinlich auch. Aber weißt du Pisser, das wäre zu einfach. Außerdem habe ich keine Lust, deine Visage täglich anschauen zu müssen. Aber ich will, dass du dich jeden Tag daran erinnerst, dass ich jemanden von dir in meiner Gewalt habe. Ich will, dass du dich jeden Tag fragst, was ich mit ihr tue. Deine Qual, die werde ich genießen. Dark Crow, Dorn, du Wurm, hört mir jetzt genau zu! Hiermit fordere ich die vollständige bedingungslose Kapitulation deiner Schwester Ilarja Delay, genannt Ila.» Ein Raunen geht durch die gesamte Arena. Die Menge ist ehrlich schockiert. Es ist absolut unüblich, dass die Frauen in den Konflikt hineingezogen werden. Ausserdem haben fast alle erwartet, dass Cael seinen Erzfeind Dorn wählen wird. Das hätte die Dark Crow führungslos gemacht. Vielleicht hätte Cael mit diesem Schachzug früher oder später sogar den verfeindeten Clan übernehmen können. Doch er hat sich für den unkonventionellen Weg entschieden. Seinen Widersacher zu demütigen, indem er seine Schwester zur Kapitulation zwingt. Auch eine Möglichkeit. Sehr geschickt. Cael wendet den Kopf und blickt direkt in die Kamera, im Wissen, dass Ila ihn durch den Bildschirm sieht. «Du hast 30 Minuten. Dann will ich deine Antwort.» Es ist geschehen. Was Ila gefürchtet hat, ist jetzt da. Als sie hört, wie Cael ihren Namen ausspricht, lässt der Boden unter ihr nach. Jetzt steht sie regungslos im Raum und starrt auf den Bildschirm. Wie durch einen Nebel nimmt sie wahr, dass zwei Sicherheitsleute der Cuverna erscheinen. Sie wollen verhindern, dass sie flieht. Doch wo sollte sie auch hin? In der Basis ist es totenstill. Fays kalte Hand berührt ihre Schulter. «Es ist deine Entscheidung, Ila. Du kannst auch Nein sagen», gibt sie zu bedenken. Müde blickt Ila ihre Freundin an. «Wenn ich es nicht tue, verliert Dorn seine Lizenz und damit sein Leben. Das kann ich ihm nicht antun»! Fays Augen füllen sich mit Tränen. «Können wir denn gar nichts tun?» Sie fühlt sich so hilflos, wie noch nie in ihrem Leben. Alles, was Fay hat, ihr Wissen, ihr Können auch ihr eiserner Wille können nichts daran ändern. Es gibt nichts, womit sie Ila vor dem bewahren könnte, was ihr bevorsteht. Einen kurzen Augenblick denkt Fay darüber nach, Cael sich selbst an Ilas Stelle anzubieten. Doch tief in sich weiß Fay, dass das nichts bringen würde. Trotz ihrer Beziehung zu Dorn, wird Cael nicht darauf eingehen. Es muss Ila sein. Warum auch immer. Trauer verbreitet sich in den Katakomben. Sie werden eine der ihren verlieren, soviel ist klar. «Haltet den Kontakt mit mir, so gut ihr könnt. Ich bin nicht sicher, ob es funktioniert. Da ich mich Cael aber nicht unterwerfe, kann es sein, dass die Verbindung zu euch nicht betroffen ist», bittet Ila ihre Freunde. «Ich werde wohl nichts mitnehmen können», seufzt sie und wirft den Sicherheitsleuten einen fragenden Blick zu. «Du darfst die Arena nicht verlassen», wird ihr mitgeteilt. «Sag Fay, was du brauchst, sie kann es am Ende der Nacht aus deinem Haus holen. Ich werde es dir ins Wolfsturm mitbringen, wenn Cael es erlaubt», bietet Cella an. «Oh Mann, Ila, es tut mir so leid!», bricht es aus ihr heraus. Cella ist eine Black Wolves und fühlt sich irgendwie für die Misere verantwortlich. «Ich würde ja bei Cael um Gnade für dich bitten. Aber es wird nichts nützen. Er hat entschieden und wird es durchziehen.» Auch Cella kann sich nicht erklären, warum Cael ausgerechnet Ila gewählt hat. Wenn er Dorn nicht wollte, hätte er ja auch seinen Stellvertreter fordern können. Warum ausgerechnet die unschuldige Ila? Cael ist doch sonst nicht so skrupellos. Er kämpft erbarmungslos, ja, aber Cael hat seine Prinzipien, denen er treu ist. «Es ist nicht deine Schuld», beruhigt Ila die aufgelöste Cella. Dann nennt Ila Fay die Dinge, die sie aus ihrem Haus haben möchte. Sie weiß nicht, ob sie diese überhaupt erhalten wird. Das wird Caels Entscheidung sein. Alles, was sie betrifft, wird in Zukunft seine Entscheidung sein. Ohnmacht und Verzweiflung schnüren ihr die Kehle zu. Nur mit Mühe kann sie die Tränen zurückhalten. Doch sie muss jetzt stark sein. Für diese Menschen hier, die sie umringen, und deren Angst, Sorge und Trauer sie so deutlich spüren kann. Sie hört Fays erstickte Stimme: «Ich begleite dich zum Ring.» «Nein, ich gehe allein. Das hier hat nichts mit dir zu tun», erwidert Ila bestimmt. Nur widerwillig gibt Fay nach. Jeder einzelne nimmt Ila noch ein letztes Mal in die Arme. Auch Lee hat einen Kloß im Hals, das hört sie an seiner Stimme, als er sie fest an sich drückt. «Kämpf um jedes bisschen Freiheit, Ila. Das wird dir helfen, zu überleben. Und denk daran, du bist stärker, als du glaubst», flüstert er ihr ins Ohr. Ila löst sich von ihm, kann die Tränen kaum noch zurück halten. Lee weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn das eigene Leben plötzlich von der Gnade eines anderen abhängt. Ila kann nur hoffen, dass ihr mehr Gnade zuteil werden wird, als Lee damals. Zuletzt umarmt sie Fay, die nun lautlos weint. Der Abschied ist endgültig, das wissen sie alle. Sanft löst sich Ila von Fay, nimmt ihr Gesicht in ihre Hände und blickt sie eindringlich an. «Sag meinem Bruder, dass ich ihn liebe. Sag ihm, dass es nicht seine Schuld ist.» Fay nickt benommen. Die beiden Sicherheitsmänner treten näher an Ila heran. «Es ist Zeit, zu gehen!», wird sie aufgefordert. Ila wirft noch einen letzten Blick auf ihre Freunde, dann lässt sie sich von den Wächtern hinausführen. Als sie die Katakomben verlassen, kommen weitere hinzu. Ila ist nun von diesen Wächtern umringt. Hinter den Kulissen, bevor sie den Zuschauerraum und damit die Arena betritt, bleibt Ila stehen. «Ab hier gehe ich allein!», bestimmt sie. Als einer protestieren will, fügt sie hinzu: «Das ist mein letzter Weg als freie Hexe und ich werde ihn allein gehen!» Ihre Stimme ist fest und klar, lässt keinen Widerspruch zu. Sie selbst hat keine Ahnung, woher diese Bestimmtheit kommt. Tatsächlich gehen die Wächter beiseite. Einer drückt ihr noch ein Mikro in die Hand. Dann tritt sie hinaus. Das Licht blendet sie, verhindert jedoch, dass sie die Gesichter der Zuschauer sehen kann. Die Gefühle, welche sie aussenden, reichen aus, um Ila Bauchschmerzen zu bereiten. Ob es allein die fremden Gefühle sind oder die Angst vor dem, was kommt, kann sie nicht sagen. Alles in ihr drängt sie, das Mikro fallen zu lassen und wegzulaufen. So weit, wie es nur irgendwie geht. Aber das macht keinen Sinn. Dorn würde dadurch alles verlieren und Cael sie trotzdem früher oder später bekommen. Er wird sie niemals aufgeben. Das hat er ihr schon mehrmals gesagt. Ila hat es nie ganz geglaubt, aber mit dem, was Cael heute gemacht hat, hat er bewiesen, dass es die Wahrheit ist. Den Blick fest auf den Ring gerichtet geht sie langsam darauf zu. Ihr kommt es vor, als wäre der Weg unendlich lang. Als sie im Ring steht, fühlt sich das Mikro in ihrer Hand so schwer an wie Blei. Als Ila es an den Mund hebt und noch ehe sie zu sprechen beginnt, ist es still in der Arena. Die Worte formen sich und verlassen ihren Mund, ohne dass Ila sie selbst wahrnimmt: «Cael Vandorra, dass ich tue, was ich tun muss, hast du erzwungen. Und ich hasse dich dafür!» Ihre Kehle ist wie zugeschnürt, ihr Mund trocken und das Atmen fällt ihr schwer. Kurz schließt sie die Augen, bevor sie die Worte spricht, die alles verändern: «Ich, Ilarja Delay, genannt Ila, Schwester des Dorian Delay, genannt Dorn, Alpha der Dark Crow, erkläre hiermit meine bedingungslose vollständige Kapitulation vor Cael Vandorra, Alpha der Black Wolves. Mein Körper, mein Geist, meine Seele und mein Leben sind jetzt in seiner Hand.» Alles um Ila herum versinkt im Nebel. Sie bleibt einfach stehen, selbst wenn sie wollte, sie kann sich nicht rühren. Ein Heulen erfüllt den Raum. Das Triumphgeheul eines Wolfes. Zusammen mit seinen Kriegern betritt Cael den Ring. Er bleibt vor Ila stehen, seine Augen fixieren sie. Seinen Blick kann sie nicht deuten und seine Emotionen sind auch jetzt nicht für sie zugänglich. Kyle, ein Berg von einem Mann stellt sich hinter Ila. Sie kann die Wärme seines Körpers spüren. Ein Kämpfer, den alle nur Macho nennen, nimmt ihr das Mikro aus der Hand. «Hände auf den Rücken!», weist er sie an. Wie eine Marionette gehorcht Ila und lässt widerstandlos geschehen, dass sie gefesselt wird. Kyles Arm umschlingt ihre Schultern. Er fasst ihren Kopf und will ihn zur Seite drehen. Aus den Augenwinkeln sieht Ila Cael, der ein Messer in der Hand hat. Da verliert Ila die Nerven. Sie weiß, was das bedeutet. Cael wird sie zeichnen. Gezeichnet sein, heißt auf immer verbunden sein mit dem, der sie zeichnet. Selbst wenn Cael die Kapitulation jemals aufhebt, die Verbindung durch die Zeichnung wird bleiben. Dieser Schritt hat eine solche Endgültigkeit, dass Ila übel wird. Wenn Cael sie zeichnet, wird das der unwiederbringliche Bruch sein mit ihrer Familie und den Dark Crow. Verzweifelt beginnt sie, sich gegen den Mann hinter ihr zu wehren. Ila versucht, sich aus seinem Griff zu winden. Doch Kyle hält sie nur eisern fest und wartet. Wartet, bis sie sich erschöpft gegen ihn lehnt, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen. Dann dreht er ihren Kopf zur Seite und entblößt so Cael ihre Kehle. Sie zittert am ganzen Körper, als Cael an sie herantritt. Dieser fügt ihr mit dem Messer einen langen schmalen Schnitt zu. «Mein. Für immer», flüstert Cael, bevor er zuerst mit der Zunge über die Wunde leckt und sich dann daran festsaugt. 

Bild: Yentl Fasel
Bild: Yentl Fasel

Einen kurzen Augenblick wird Ila schwarz vor Augen, als alle Kraft aus ihr weicht. Sie fühlt, wie ihr Körper, ihr Geist und ihre Seele sich an diesen Mann vor ihr binden. Jetzt hat er alles, was er jemals von ihr wollte. Wieder zittert sie. Kyle lässt sie los und nur mit Mühe kann sie sich auf den Beinen halten. Ihr Herz bleibt stehen, als eine schwarze Binde vor ihren Augen erscheint. Und obwohl sie sich so schwach fühlt, wie noch nie in ihrem Leben, wehrt sie sich wieder. Sie will nicht in der Dunkelheit gefangen sein. «Halt still!» Caels Worte, nur für sie hörbar gesprochen, lassen Ila erstarren. So wird es ab jetzt immer sein. Sie wird sich ihm fügen müssen. Eine Träne rinnt über ihre Wange, ehe sie es verhindern kann. Kyle verbindet ihre Augen und das schwarze Nichts umfängt sie. Cael umfasst ihre Taille und zieht sie dicht an sich heran. Seine Lippen senken sich auf ihre und seine Zunge fordert Einlass. Keuchend gewährt sie ihm diesen. Seine fordernde Zunge umschmeichelt ihre. Cael nimmt sie ganz in Besitz. Und in Ila lodert dasselbe Begehren auf wie in ihm. Mit diesem Kuss lässt er keinen Zweifel daran, was sie ist: Sein. Er beendet den Kuss, hält sie aber noch immer dicht an sich gepresst. «Ich hebe dich jetzt hoch», warnt er sie vor. Trotzdem zuckt sie zusammen, als sie den Boden unter den Füßen verliert und er sie wegträgt. Als die kalte Luft sie trifft, erkennt Ila, dass sie die Cumbatsidat verlassen haben. Cael stellt sie wieder auf die Füße. «Es ist nicht ratsam, dich durch ein Portal zu geleiten. Deshalb werden wir dich mit dem Auto hier wegbringen», informiert er sie. Ila fühlt, wie ihre Füße zusammengebunden werden. Sie fragt nicht, weshalb. Sie bringt sowieso kein Wort heraus. Ihr Kopf ist einfach nur leer. Jemand drängt sie nach hinten. Cael scheint um das Auto herumgegangen und eingestiegen zu sein. Jedenfalls schlingt er nun seinen Arm um ihre Taille und zieht sie ins Innere des Wagens. Sie schaffen es tatsächlich, sie in dieses Auto zu verfrachten, ohne dass sie sich den Kopf stößt, stellt Ila fest. Es erstaunt Ila, dass ihnen das wichtig zu sein scheint. Nun liegt Ila auf der Seite auf den Sitzen. Ihr Kopf ist auf Caels Oberschenkel gebettet. Das Auto fährt los ins Unbekannte. 

 

©by Patricia Tschannen, 2024

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